Überblick

Ungefähr die Hälfte aller in den letzten beiden Jahrzehnten zugelassenen Medikamente wurde aus natürlichen Substanzen abgeleitet. In der Onkologie liegt der Anteil der auf natürlichen Vorläufer-Molekülen basierenden Substanzen sogar noch höher: 74% aller gegen Tumore gerichteten Substanzen sind natürlicher Herkunft und von natürlichen Molekülen abgeleitet bzw. von ihnen inspiriert.

Beispiele sind u.a. Vincaalkaloide, Taxane, Topoisomerase-Inhibitoren, Zytokine und unterschiedliche Enzyme zu nennen. MELEMA knüpft an diese Entwicklungstradition an, indem es sich auf Derivate natürlicher Substanzen mit starkem Einfluss auf das Immunsystem konzentriert. Bspw. arbeitet MELEMA an ME-503.

 

ME-503

Rekombinant hergestelltes Lektin aus Viscum album

Lektine sind Glykoproteine, die mit hoher Spezifität an Zuckermoleküle binden, die sich z.B. auf der Oberfläche von Zellen befinden. ME-503 ist ein dimerisches Protein, dessen eine Domäne, die sog. B-Kette, an die Oberfläche einer Zielzelle bindet, während die andere, die sog. A-Kette, dank ihrer enzymatischen Aktivität als 28S rRNA-N-Glykosidase stark zytotoxisch ist.

ME-503 bindet an spezifischen Rezeptor

ME-503 ist insofern ein völlig neuartiges Biological, da es das einzige rekombinante Sialinsäure-spezifische Lectin in der Arzneimittelentwicklung ist, das auf das spezifische auf Proteinen und Lipiden terminal gebundene α2,6-Sialo-N-acetyllactosamin (CD75) und α2,6 Sialo-N-acetylgalactosamin (sTn) auf Zielzelloberflächen abzielt.

Die Bindung hier erfolgt über die ME-503-B-Kette, was eine Holoprotein-Endozytose auslöst. Der Mechanismus erinnert an das berühmte trojanische Pferd: Sobald ME-503 von der Zelle aufgenommen ist, beginnt seine A-Kette damit, ribosomale RNA zu modifizieren (Aktivität als so genanntes Typ 2 Ribosomen-inaktivierendes Protein RIP) – s. Grafik.

Aviscumine

Wirkungsweise von ME-503

Diese Veränderung führt zu einer vollständigen und unumkehrbaren Unterbrechung der Proteinsynthese in der Zelle (Inaktivierung der Translation). Dieser plötzliche Stopp lebenswichtiger Prozesse führt zu einer starken Stressreaktion („ribotoxic stress“) der Zelle, die ihrerseits zur Phosphorylierung wichtiger Kinasen und zur Einleitung des programmierten Zelltods, der sogenannten Apoptose, führt.

Die Blockierung der Proteinproduktion durch Inaktivierung der Ribosomen ist ein zytotoxischer Mechanismus, der nur von ganz wenigen Substanzen wie dem ME-503 bekannt ist. Die meisten anderen zytotoxischen Wirkstoffe beschädigen entweder die DNA oder reagieren mit der mRNA.
Erreicht ME-503 in ausreichender Konzentration direkt eine Targetzelle, die den „ME-503 Rezeptor“, das α2,6-Sialo-N-acetyllactosamin (CD75)- oder α2,6 Sialo-N-acetylgalactosamin (sTn)-Protein, exprimiert hat, geht diese abhängig von der lokalen Konzentration durch Nekrose oder Apoptose zugrunde.

Diese Glykanepitope werden aufgrund verstärkter α2,6-Sialyltransferase (ST6Gal I, ST6GalNAc) – Aktivitäten auf vielen Zellen überexprimiert. Das können verschiedene Tumorzellen sowie bestimmte Immunzellen (B-Zellen, dendritische Zellen, regulatorische T-Zellen) sein. Das primäre Ereignis ist somit der durch ME-503 ausgelöste Zelltod. Im Falle der Immunzellen wird zugleich eine Immunkaskade (Immunstimulation auf verschiedenen Ebenen) in Gang gesetzt, die sich gegen Krebszellen richtet. (s. Video)

Anwendungsmöglichkeiten

ME-503 ist somit ein neuartiger Wirkstoff mit zytolytischer / zytostatischer und immuntherapeutischer Aktivität. Er kann daher zur direkten intratumoralen und subkutanen Injektion verwendet werden.

Zwei Beispiele aus der experimentellen Forschung belegen dies: Die intratumorale Injektion von ME-503 verkleinert die injizierten Läsionen in einem Kolonkarzinom-Modell und bewirkt, dass sie sich teilweise auflösen – ein ähnlich Prinizip, wie man es von der intratumoralen Applikation von Chemotherapeutika oder onkolytischen Viren kennt. Die subkutane Injektion von ME-503 stimuliert stark CD4 + – und CD8 + -T-Zellen, die Tumorantigene erkennen, die Tumore infiltrieren und abtöten, was zu einer Hemmung des Tumorwachstums und einer Verbesserung des Gesamtüberlebens in Mäusen mit einem Lymphosarkom führt.

Klinische Entwicklung

ME-503 wurde im Rahmen mehrerer klinischer Studien der Phasen I, I/II, II mehr als 130 Patienten auf unterschiedlichen Applikationswegen und mit verschiedenen Dosierungen verabreicht und hat sich dabei als sicher und gut verträglich erwiesen. Zudem konnte ein gutes Ansprechen bei soliden Tumoren (Stabilisierung des Tumorwachstums) und damit ein signifikanter klinischer Nutzen sowohl bei s.c. und lokoregionaler Anwendung gezeigt werden. In einer Phase II Studie an Patienten mit metastasierendem Hautkrebs (Melanom) konnten deutliche Hinweise zu Wirksamkeit im Sinne einer möglichen Überlebenszeitverbesserung gewonnen werden (Treffzer et al. 2014).